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Protokollsäze 1



Im Interesse der Forschung werden in der Einheitsspradie der Einheitswissenschaft immer mehr Formulierungen in wachsendem Maße präzisiert. Kein Terminus der Einheitswissenschaft ist aber von Unpräzision frei, da ja alle Termini auf Termini zurückgerührt werden, welche für Protokollsätze wesentlich find, deren Unpräzision doch jedem sofort in die Augen springt.
Die Fiktion einer aus sauberen Atomsätzen aufgebauten idealen Sprache ift ebenso metaphysisch, wie die Fiktion des Laplaceschen Geistes. Man kann nicht die immer mehr mit systematischen Symbolgebilden ausgestatrete wissenschaftliche Sprache etwa als eine Annäherung an eine solche Idealsprache auffassen. Der Satz "Otto beobachtet einen zornigen Menschen" ist unpräziser, als der Satz: "Otto beobachtet einen Thermometerstand von 24 Grad", sofern man "zorniger Mensch" weniger genau definieren kann, als "Thermometerftand von 24 Grad"; aber "Otto" selbst ist in vieler Richtung ein unpräzisierter Terminus, der Satz "Otto beobachtet" wird ersetzt werden können durch den Satz "Der Menfch, dcssen sorgsam aufgenommenes Photo in der Kartothek am Platz 16 liegt, beobachtet", womit aber der Terminus "Photo in der Kartothek am Platz 16" noch nicht erfetzt ift durch ein System mathematischer Formeln, das eindeutig zugeordnet ist einem anderen Syftem mathematifcher Formeln, das an die Stelle von "Otto", von "zornigem Otto", "freundlichem Otto" usw. tritt.
Gegeben ift uns zunächst unsere historische Trivialsprache mit einer Fülle unpräzifer, unanalysierter Termini ("Ballungen").
Wir beginnen damit, diese Trivialfprache von metaphysischen Bestandteilen zu reinigen, und gelangen so zur physikalistischen Trivialsprache. Eine Liste der verbotenen Wörter kann uns dabei in der Praxis sehr dienlich sein.
Daneben gibt es die physikalistische hochwissenschaftliche Sprache, die wir von vornherein metaphysiksfei anlegen können. Wir verfügen über sie nur für bestimmte Wissenschaften, ja Teile von Wissenschaften.
Will man die Einheitswissenschaft unseres Zeitalters zusammenfassen, m¨ssen wir Termini der Trivialsprache und der hochwissenschaftlichen Sprache verbinden, da sich In der Praxis die Tennini beider Sprachen überschneiden. Es gibt gewisse Termini, die nur in der Trivialsprache verwendet werden, andere, die nur in der hoch-wissenschaftlichen vorkommen und schließlich Termini, die in beiden auftreten. In einer wissenschaftlichen Abhandlung, die das gesamte Gebiet der Einheitswissenschaft berührt, kann man daher nur einen "Slang" verwenden, der Termini beider Sprachen umfaßt.
Wir erwarten, daß man jedes Wort der physikalistischen Trivialfprache durch Termini der hochwissenschaftlichen Sprache wird ersetzen können - so wie man auch die Termini der hochwissenschaftlichen Sprache mit Hilfe der Termini der Trivialtprache formulieren kann. Letzteres ist uns nur sehr ungewohnt und manchmal nicht leicht, Einstein ist mit den Mitteln der Bantusprache irgendwie ausdrückbar, aber nicht Heidegger, es sei denn, daß man an das Deutsche angepaßte Mißbräuche einführt. Ein Physiker muß die Forderung eines geistvollen Denkers grundsätzlich erfüllen können: "Jede streng wissenschaftliche Lehre muß man in ihren Grundzügen einem Droschkenkutscher in feiner Sprache verständlich machen können."
Die hochwissenschaftliche und die Trivialfprache stimmen heute vor allem im Gebiet des Ziffemrechnens überein. Aber selbst die Formulierung "2 mal 2 gleich 4" - eine Tautologie - wird im System des radikalen Physikalismus mit Protokollsätzen verknüpft. Tautologieen werden durch Sätze definiert, die berichten, wie Tautologieen, als Zusatzreize bei bestimmten Befehlen unter bestimmten Bedingungen eingeschaltet wirken: "Otto tagt zu Karl: geh hinaus, wenn die Fahne weht und wenn 2 mal 2 gleich 4 ist." Durch den Zusatz der Tautologie wird die Wirkung des Befehls nicht geändert.
Wir können felbft auf dem Boden strengster Wissenschaftlichkeit in der Einheitswissenschaft nur einen "Universalslang" verwenden. Da vorläufig über ihn keine Einigung besteht, muß jeder Gelehrte, der sich diesen Problemen zuwendet, einen Universalslang verwenden, für den er meist einige neue Termini schaffen muß.
Es gibt kein Mittel, um endgültig gesicherte saubere Protokollsätze zum Ausgangspunkt der Wissenschaften zu machen. Es gibt keine tabula rasa. Wie Schiffer find wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können. Nur die Metaphysik kann restlos verschwinden. Die unpräzisen "Ballungen" find immer irgendwie Bestandteil des Schiffes. Wird die Unpräzision an einer Stelle verringert, kann fie wohl gar an anderer Stelle verstärkt wieder auftreten.




Wir werden den von Metaphysik gereinigten Universalslang als Sprache der historisch gegebenen Einheitswissenschaft von Anfang an die Kinder lehren. Jedes Kind kann so "dressiert" werden, daß es mit einem vereinfachten Universalslang beginnt und allmählich zum Universalslang der Erwachsenen fortschreitet. Es hat keinen Sinn für unsere Betrachtung, diese kindliche Sprache als Sondersprache abzugrenzen. Man müßte sonst vielerlei Universalslangs unterscheiden. Das Kind lernt nicht einen "ursprünglichen" Universalslang, aus dem man den Univerfalflang der Erwachsenen ableitet, es lernt einen "ärmeren" Universalslang, der allmählich aufgefüllt wird. Der Terminus "Kugel aus Eisen" wird auch in der Sprache der Erwachfenen verwendet, wird er hier durch einen Satz definiert, in dem Worte wie "Radius" und "Pi" vorkommen, so kommen in der kindlichen Definition Worte wie: "Kegelspiel", "Geschenk von Onkel Rudi" usw. vor.
Aber der "Onkel Rudi" fehlt auch in der Sprache der strengen Wissenschaft nicht, wenn die physikalische Kugel durch Protokollsätze definiert wird, in denen "Onkel Rudi" als "beobachtende Person" auftritt, welche "eine Kugel wahrnimmt".
Carnap spricht dagegen von einer ursprünglichen Protokollsprache (Carnap a. a. o. S. 437 f., S. 453 f.). Seine Bemerkungen über die "ursprüngliche" Protokollsprache, über die Protokollsätze, die "keiner Bewährung bedürfen", liegen nur am Rand seiner bedeutsamen antimetaphysischen Ausführungen, deren Grundidee durch die hier vorgebrachten Bedenken nicht berührt wird. Carnap fpricht von einer "ersten Sprache", die man auch als "Erlebnissprache" oder als "phänomenale Sprache" bezeichne. Er betont dabei, daß "die Frage nach der genaueren Charakterisierung dieser Sprache fich beim gegenwärtigen Stand der Forschung noch nicht beantworten läßt".
Diese Bemerkungen könnten jüngere Menschen veranlassen, nach dieser Protokollsprache zu suchen. Das führt leicht auf metaphysifshe Abwege.. Wenn man auch die Metaphysik nicht durch Argumente wesentlich zurückdrängen kann, so ist es doch um der Schwankenden willen wichtig, den Physikalismus in feiner radikalsten Fassung zu vertreten.




Die Einheitswissenschaft befteht, wenn wir von den Tautologien absehen, aus Realsätzen.
Diese zerfallen in:
a) Protokollsätze,
b) Nichtprotokollsätze.
Protokollsätze find Realsätze von derselben Sprachform wie die anderen Realsätze, doch kommt in ihnen immer ein Personenname in bestimmter Verknüpfung mit anderen Termini mehrmals vor. Ein vollständiger Protokollsatz könnte z. B. lauten: "Ottos Protokoll um 3 Uhr 17 Minuten: [Ottos Sprechdenken war um 3 Uhr 16 Minuten: (Im Zimmer war um 3 Uhr 15 Minuten ein von Otto wahrgenommener Tifch)] ". Dieser Realsatz ist so aufgebaut, daß nach "Auflösung der Klammern" weitere Realsätze entstehen, die aber keine Protokollsätze find: "Ottos Sprechdenken war um 3 Uhr 16 Minuten: (Im Zimmer war um 3 Uhr 15 Minuten ein von Otto wahrgenommener Tisch)" und weiter: "Im Zimmer war um 3 Uhr 15 Minuten ein von Otto wahrgenommener Tisch."
Jeder der in diesen Sätzen vorkommenden Termini kann von vornherein in einem gewissen Ausmaß durch eine Gruppe von Termini der hochwissenschaftlichen Sprache ersetzt werden. Statt "Otto" kann man ein System physikalistischer Bestimmungen einführen, man kann dieses System physikalistifcher Bestimmungen weiter definieren durch die "Stelle" des Namens "Otto" in einer Gruppe, die aus den Namen "Karl", "Heinrich" usw. gebildet ist. Alle in dem obigen Protokollsatz verwendeten Worte find entweder Worte des Universalslangs oder können ohne weiteres von vornherein durch Worte des Universalslangs ersetzt werden.
Für einen vollständigen Protokollsatz ist wesentlich, daß der Name einer Person darin vorkommt. "Jetzt Freude" oder "Jetzt roter Kreis" oder "Auf dem Tisch liegt ein roter Würfel" (vgl. Carnap a. a. 0. S. 438 f.) find keine vollständigen Protokollsätze. Selbst als Ausdrücke innerhalb der letzten Klammer kommen sie nicht in Betracht. Es müßte nach unterer Fassung mindestens heißen, - was ungefähr der "Kindersprache" entspräche - "Otto jetzt Freude", "Otto sieht jetzt roten Kreis", "Otto sieht jetzt auf dem Tisch einen roten Würfel liegen". Das heißt, der Ausdruck innerhalb der letzten Klammer ist bei einem vollständigen Protokollsatz ein Satz, der nochmals einen Personennamen aufweist und einen Terminus aus dem Gebiet der Wahrnehmungstermini. Wie weit dabei Trivialtermini oder hochwissenschaftliche Tennini verwendet werden, ist nicht wesentlich, da wir innerhalb des Universalslangs eine erhebliche Freiheit der Sprachgewohnheiten haben.
Der Ausdruck nach der zweiten Klammer "Sprechdenken" empfiehlt sich, wie sich zeigt, wenn man verschiedene Gruppen von Sätzen bilden will, z. B. Sätze mit "Wirklichkeitstermini", mit "Halluzinationstermini", mit "Traumtermini", und insbesondere wenn man überdies die "Unwahrheit" abtrennen will. Man könnte z. B. sagen: "Otto hatte zwar das Sprechdenken: Im Zimmer war nur ein von Otto wahrgenommener Vogel, aber er schrieb, um sich einen Scherz zu machen, nieder: Im Zimmer war nur ein von Otto wahrgenommener Tisch." Das ist besonders für die Erörterungen des nächsten Absatzes wichtig, in dem wir Carnaps These ablehnen, daß die Protokollsätze Sätze find, die "keiner Bewährung bedürfen".




Der Wandlungsprozeß der Wissenschaften befteht darin, daß Sätze, die in einem bestimmten Zeitalter verwendet wurden, in einem späteren wegfallen, wobei sie oft durch andere erfetzt werden. Manchmal bleibt auch der Wortlaut bestehen, aber die Definitionen werden geändert. Jedes Gesetz und jeder physikalistische Satz der Einheitswissenschaft oder einer ihrer Realwissenschaften kann solche Abänderung erfahren. Auch jeder Protokollsatz.
In der Einheitswissenschaft bemühen wir uns (vgl. Carnap a. a. 0. S. 439 f.) ein widerspruchsloses System von: Protokollsätzen und Nichitprotokollsätzen (einsdiließlichi der Gesetze) zu schaffen. Wird uns nun ein neuer Satz vorgewiesen, so vergleichen wir ihn mit dem System, über das wir verfügen, und kontrollieren nun, ob der neue Satz im Widerspruch mit dem System steht oder nicht. Wir können, falls der neue Satz im Widerspruch mit dem System steht, diesen Satz als unverwendbar ("salsch") streichen, z. B. den Satz: "In Afrika fingen die Löwen nur unter Verwendung von Durakkorden", oder aber man kann den Satz "annehmen" und dafür das System so abändern, daß es, um diesen Satz vermehrt, widerspruchslos bleibt. Er heiße dann "wahr".
Das Schicksal, gestrichen zu werden, kann auch einem Protokollsatz widerfahren. Es gibt für keinen Satz ein "Noii me tangere", wie es Carnap für die Protokollsätze statuiert. Ein besonders drastisches Beispiel: Angenommen wir kennen einen Gelehrten namens Kalon, der gleichzeitig mit der linken und mit der rechten Hand schreiben kann. Und nun schreibe er mit der linken Hand: "Kalons Protokoll um 3 Uhr 17 Minuten: [Kalons Sprechdenken war um 3 Uhr 16 Minuten 30 Sekunden: (Im Zimmer war um 3 Uhr 16 Minuten nur ein von Kalon wahrgenommener Tisch)]", während er mit der rechten Hand schreibe: "Kalons Protokoll um 3 Uhr 17 Minuten: [Kalons Sprechdenken war um 3 Uhr 16 Minuten 30 Sekunden: (Im Zimmer war um 3 Uhr 16 Minuten nur ein von Kalon wahrgenommener Vogel)]." Was kann er und was können wir mit diesen beiden Protokollsätzen anfangen? Wir können natürlich Aussagen von der Art machen: Bestimmte Zeichen sind auf dem Papier, die einmal so, einmal so geformt sind. In bezug auf diese Zeichen auf dem Papier kann aber das von Carnap gebrauchte Wort "Bewährung" keine Anwendung finden. Man kann "Bewährung" nur in Hinblick auf "Sätze" gebrauchen, also in Hinblick auf Zeichenreihen, die man im Rahmen einer Reaktionsprüfung verwenden und durch andere Zeichen systematisch ersetzen kann (vgl. Neurath. Scientia S. 302). "Gleiche Sätze" sind zu definieren als Reize, die bei bestimmten Reaktionsprüfungen gleiche Reaktionen hervorrufen. Verknüpfungen von "Tintenhügeln auf Papier" und Verknüpfungen von "Lufterschütterungen", die man unter bestimmten Bedingungen gleich setzen kann, nennen wir Sätze.
Zwei einander widersprechende Protokollsätze können im System der Einheitswissenschaft nicht verwendet werden. Wenn wir auch nicht sagen können, welcher von den beiden Sätzen auszuschließen ist,.oder ob beide auszuschließen sind, sicher ist, daß nicht beide sich "bewähren", d. h. dem System einfügen lassen.
Wenn in einem solchen Fall ein Protokollsatz aufgegeben werden muß, warum nicht manchmal auch dann, wenn erst auf Grund vieler logischer Zwischenglieder Widersprüche zwischen Protokollsätzen einerseits und einem System von Protokollsätzen, Nichtprotokollsätzen (Gesetzen usw.) andererseits auftritt? Nach Carnap könnte man nur NichtProtokollsätze und Gesetze abzuändern gezwungen sein. Für uns kommt ebenso die Streichung von Protokollsätzen in Frage. Ein Satz wird mit dadurch definiert, daß er der Bewährung bedarf, also auch gestrichen werden kann.
Carnaps Behauptung von den Protokollsätzen, die "keiner Bewährung bedürfen", wie immer sie gemeint sein mag, kann man unschwer mit dem Glauben der überlieferten Schulphilosophie an die "unmittelbaren Erlebnisse" in Verbindung bringen. Für die gab es freilich gewiste "letzte Elemente", aus denen das "Weltbild" aufgebaut wurde. diese "Atomerlebnisse" waren nach der Meinung dieser Schulphilosophie selbstverständlich über jede Kritik erhaben, bedurften keiner Bewährung.
Carnap bemüht sich eine Art "Atomprotokoll" einzuführen, indem er die Forderung stellt, es solle "Protokollaufnahme und Verarbeitung der Protokollsätze im wissenschaftlichen Verfahren streng von einander getrennt werden", was dadurch erreicht werde, daß man "in das Protokoll keine indirekt gewonnenen Sätze aufnehmen würde" (Carnap: a. a. 0. S. 437). Die oben gegebene Formulierung eines vollständigen Protokollsatzes zeigt, daß immer schon dadurch, daß Personennamen im Protokollsatz vorkommen, "Verarbeitungen" stattgefunden haben m¨ssen. Es mag zweckmäßig sein, in wissenschaftlichen Protokollen die Formulierung innerhalb der letzten Klammer möglichst einfach zu gestalten: z. B. "Otto war um 3 Uhr rot-sehend", und ein weiteres Protokoll: "Otto war um 3 Uhr Cishörend" usw.; aber ein solches Protokoll ist nicht "ursprünglich" im Carnapschen Sinne, weil man ja um das "Otto" und um das "Wahrnehmen" nicht herumkommt. Es gibt innerhalb des Universalslangs keine Sätze, die man als "ursprünglicher" kennzeichnen kann, alles find Realsätze von gleicher Ursprunglichkeit; in allen Realsätzen treten Worte, wie: "Menschen", "Wahmehmungsvorgänge" und andere Worte wenig ursprüngIicher Art auf, mindestens in den Voraussetzungen, aus denen sie abgeleitet sind. Das heißt, es gibt weder "ursprungliche Protokollsätze", noch gibt es Sätze, die "keiner Bewährung bedürfen".




Der Universalslang ist im oben erläuterten Sinn der gleiche für das Kind und für den Erwachisenen. Der Universalslang ist der gleiche für einen Robinson, wie für eine menschliche Gesellschaft.
Wenn Robinson das, was er gestern protokolliert hat, mit dem, was er heute protokolliert, verbinden, d. h., wenn er sich überhaupt einer Sprache bedienen will, muß er sich der "intersubjektiven" Sprache bedienen. Der Robinson von gestern und der Robinson von heute stehen einander ebenso gegenüber, wie der Robinson dem Freitag. Nehmen wir an, ein Mensch, der gleichzeitig seine "Erinnerung verloren hat" und "erblindet ist", lerne neuerlich lesen und schreiben. Seine eigenen Aufzeichnungen aus früherer Zeit, die er mit Hilfe besonderer Apparate lesen kann, werden für ihn ebenso die eines "anderen" sein, wie die Aufzeichnungen irgendeines Nebenmenschen. Auch dann, wenn er die Schicksalskontinuität nachträglich feststellt und seine eigene Biographie verfaßt.
Das heißt, jede Sprache ist als solche "Intersubjektiv": die Protokolle eines Zeitpunktes mussen in die Protokolle des nächsten Zeitpunktes aufgenommen werden können, so wie die Protokolle des A in die Protokolle des B. Es hat daher keinen Sinn, von monologisierenden Sprachen zu reden, wie dies Carnap tut, auch nicht von den verschiedenen Protokollsprachen, die nachträglich aufeinander bezogen werden. Die Protokollsprachen des Robinson von gestern und von heute sind so nah und so sern voneinander, wie die des Robinson und des Freitag. Nennt man die Protokollsprache des Robinson von gestern und die des Robinson von heute unter bestimmten Bedingungen dieselbe sprache, dann kann man unter den gleichen Bedingungen die des Robinson und die des Freitag dieselbe sprache nennen.
Auch bei Carnap begegnen wir hier, der uns aus der idealistischen Philosophie vertrauten Heraushebung eines "Ich". Man kann imUniversalslang ebeneowenig vom "eigenen" Protokoll, wie vom "jetzt" oder vom "hier" sinnvoll sprechen. Die Personennamen werden in der physikalistischen sprache eben durch Koordinaten und Zustandsgrößen ersetzt. Man kann nur ein "Otto-Protokoll" von einem "Karl-Protokoll" unterscheiden, nicht aber im Universalslang ein "eigenes Protokoll" von einem "fremden Protokoll". Es fällt die gesamte Problematik des "Eigenpsychischen" und "Fremdpsychischen" weg.
Der "methodische" Solipsismus, der "methodische" Positivismus (vgl. Carnap a. a. 0. S. 461) werden nicht dadurch brauchbarcr, daß man das Wort "methodisch" hinzugefügt hat (vgl. Otto Neurath, "Erkenntnis" S. 401). .
Wenn ich z. B. früher gesagt hätte: "Ich nehme mir heute am 27. Juli Protokolle von mir selbst und anderen vor", so würde man korrekter so sprechen: "Otto Neuraths Protokoll vom 27. Juli 1932 10 Uhr Vormittag: [Otto Neuraths Sprechdenken um 9 Uhr 55 war: (Otto Neurath beschäftigte sich zwischen 9 Uhr 40 und 9 Uhr 54 mit einem Protokoll Neuraths und mit einem Protokoll Kalons, die beide folgende Sätze enthielten:......)]." Wenn auch Otto Neurath das Protokoll über die Verwendung der Protokolle verfaßt, so gliedert er doch sein eigenes Protokoll nicht anders dem System der Einheitswissenschaft ein, als das Kalons. Es kann sehr gut vorkommen, daß Neurath einen Protokollsatz Neuraths streicht, und statt dessen einen Protokollsatz Kalons aufnimmt. Daß ein Mensch im allgemeinen an seinen Protokollsätzen hartnäckiger festhält, als an denen eines anderen, ist eine historische Tatsache - ohne prinzipielle Bedeutung für unsere Betrachtung. Man kann Carnaps Behauptung: "Jedes Subjekt kann nur sein eigenes Protokoll als Basis nehmen" nicht annehmen, denn die Begründung ist nicht stichhaltig: "S1 kann zwar auch das Protokoll des S2 verwerten; und diese Verwertung wird durch Einordnung beider Protokollsprachen in die physikalische sprache besonders einfach. Aber sie geschieht doch indirekt: S1 muß in seinem Protokoll beschreiben, daß er ein Schriftstück von der und der Gestalt sieht" (Carnap a. a. 0. S. 461). Aber Neurath muß die gleiche Beschreibung vom Protokoll Neuraths, wie vom Protokoll Kalons geben! Er beschreibt, wie er das Neurath-Protokoll sieht, wie er das Kalon-Protokoll fieht.
Im weiteren Verlauf wird man die Protokollsätze aller Menschen behandeln. Und es ist grundsätzlich ganz dasselbe, ob Kalon mit Kalons oder mit Neuraths Protokollen arbeitet, ob Neurath mit Neuraths oder mit Kalons Protokollen sich beschäftigt. Um das recht deutlich zu machen, könnte man sich eine wissenschaftliche Säuberungsmaschine denken, in die man Protokollsätze hineinwirft. Die in der Anordnung der Räder wirksamen "Gesetze" und sonstigen geltenden "Realsätze", einschließlich der "Protokollsätze", reinigen den hineingeworfenen Bestand an Protokollsätzen und lassen ein Glockenzeichen ertönen, wenn ein "Widerspruch" auftritt. Nun muß man entweder den Protokollsatz durch einen anderen ersetzen oder die Maschine umbauen. Wer die Maschine umbaut, wessen Protokollsätze hineingeworfen werden, ist aber völlig gleichgültig, jeder kann "eigene" so gut wie "fremde" Protokollsätze prüfen.




Das heißt zusammenfassend:
Die Einheitswissenschaft bedient sich eines Universalslangs, in dem auch Termini der physikalislischen Trivialsprache vorkommen m¨ssen.
Man kann Kindern durch Dressur den Universalslang beibringen: neben ihm verwenden wir keine besonders abtrennbaren "ursprünglichen" Protokollsätze, nicht "Protokollsprachen verschiedener Personen".
Wir haben innerhalb der Einheitswissenschaft für die Termini "methodischer Solipsismus" oder "methodischer Positivismus" keine Verwendung.
Man kann nicht von endgültig gescherten, sauberen Protokollsätzen ausgehen. Protokollsätze sind Realsätze wie andere Realsätze, in denen Personennamen oder Namen von Personengruppen in bestimmter Weise mit anderen auch sonst vom Universalslang verwendeten Termini verknüpft auftreten.




Die Arbeiten des Wiener Kreises konzentrieren sich immer mehr um die Aufgabe, die Einheitswissenschaft (Soziologie ebenso wie Chemie, Biologie ebenso wie Mechanik, Psychologie - besser Behavioristik genannt - ebenso wie Optik) in der Einheitssprache darzustellen, und die so oft venachlässigten "Querverbindungen" zwischen den Einzelwissenschaften zu schaffen, so daß man die Termini jeder Wissenschaft auf die Termini jeder anderen mühelos beziehen kann. Das Wort "Mensch", das mit "Aussagen machen" verbunden wird, ist ebenso zu definieren, wie das Wort "Mensch", das in Sätzen vorkommt, die Worte wie "Wirtschaftsordnung", "Produktion" enthalten.
Von verschiedenen Seiten her sind dem Wiener Kreis mächtige Anregungen gekommen. Was Mach, Poincare, Duhem geleistet haben, wurde ebenso verwertet, wie das, was Frege, Schröder, Russell und andere beisteuerten. Ungemein belebend wirkte Wittgenstein in dem, was man von ihm annahm, wie in dem, was man ablehnte. Sein erster Versuch, die Philosophie als notwendige Erläuterungsleiter zu verwenden, kann aber als gescheitert gelten. Es wird wie bei aller wissenschaftlichen Arbeit darauf ankommen, einheitswissenschaftliche Sätze: Protokollsätze und Nichtprotokollsätze miteinander in Einklang zu bringen. Dazu bedarf man einer "logischen Syntax", die vor allem in der Arbeitsrichtung Carnaps liegt, der durch seinen "logifchen Aufbau der Welt" die ersten Vorbereitungen hierzu geschaffen hat.
Die hier begonnene Aussprache - Carnap wird sicherlich an diesen Berichtigungen manches zu berichtigen und zu ergänzen finden - dient wie so manche andere unterer Bemühungen dazu, die uns Physikalisten gemeinsame breite Arbeitsbasis weiter zu festigen. Solche Randerörterungen werden eine immer geringere Rolle spielen; der rasche Fortschritt der Arbeiten des Wiener Kreises zeigt, daß die planmäßige Kollektivarbeit, die dem Aufbau der Einheitswissenschaft gewidmet ist, sich immer mehr entfaltet. Dieser Aufbau wird uns Physikalisten um so rascher und erfolgreicher gelingen, je weniger Zeit wir der Abschaltung alter Irrtümer widmen m¨ssen und je mehr wir uns mit der Formulierung wissenschaftlicher Korrelationen beschäftigen können. Dazu m¨ssen wir vor allem die physikalistische Sprache verwenden lernen, wofür Carnap in seinem Artikel eingetreten ist.



Fußnoten
1 Bemerkungen zu Rudolf Carnaps Aufsatz: Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft. "Erkenntnis" 1932, S. 432. Da mit Carnap weitgehende Ubereinstimmung besteht, wird an feine Terminologie angeknüpft. Um nicht schon Gesagtes zu wiederholen, sei verwiesen auf: Otto Neurath, Physikalismus. "Scientia" 1931, S. 297. Otto Neurath, Soziologie im Physikalismus. "Erkenntnis" 1932, S. 393. .


In: Erkenntnis, 3, 1932-22, S.204-14
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